Lara Gut: “Als Sportlerin stellt man sich ständig in Frage”

Lara Gut und ihr Weg. – Foto: GEPA pictures

24.10.2018

Seit ihrem Weltcup-Debüt Ende 2007 als erst 16-Jährige hat Lara Gut als Skifahrerin etliche Erfolge gefeiert, aber auch einige Rückschläge verkraften müssen. Still wurde es nie um die Tessinerin. Vor dem Start in die neue Saison gibt Lara Gut Einblicke in ihre Gefühlswelt. Ein von Swiss Ski zur Verfügung gestelltes Interview.

Lara Gut und ihr Weg. – Foto: GEPA pictures

Lara Gut ist dabei, sich selber zu finden und die Rollen als Ehefrau, Spitzensportlerin, Tochter und in der Öffentlichkeit stehende prominente Frau unter einen Hut zu bringen. Die Tessinerin machte und macht eine Entwicklung durch, zu welcher auch drastische Schritte wie die Verabschiedung aus den Kanälen der sozialen Medien gehören (skinews.ch berichtete und kommentierte). In einem auf swiss-ski.ch veröffentlichten Interview gibt Lara Gut unter anderem Einblicke in diesen Wandel.

 

Lara Gut, wer sind Sie heute? Und was für eine Sportlerin sind Sie geworden?

Lara Gut: «Ich bin eine verheiratete Frau von 27 Jahren, die Ski fährt. Spass beiseite – ich glaube, dass es am wichtigsten ist, den Weg zu gehen, der einen zu sich selbst führt. Mein heutiges Ich ist das Ergebnis davon, was und wie ich bisher gelebt habe; was gefehlt hat und was ich in den vergangenen Monaten und Jahren lernen konnte. Ich hatte in den Anfängen das Glück, sehr früh Wettkämpfe zu gewinnen. Das erweist sich bisweilen auch als zweischneidiges Schwert, weil man unbedingt weiterhin gewinnen will und sich vor allem darauf konzentriert, wie man das erreichen kann oder den Siegeswillen noch zu steigern. Oft will man das, was einem fehlt, anstatt sich am Erreichten zu freuen. Mein letzter Unfall und die Gewissheit, Valon (Behrami – Red.) an meiner Seite zu wissen, haben mich stärker und selbstsicherer gemacht. Ich lebe bewusster, bin feinfühliger geworden und habe gelernt, meine Schwächen zu akzeptieren. Beispielsweise, wenn mir mein Zuhause oder die Person fehlt, die mir ganz nahe steht. Ich bin zu einer Sportlerin gewachsen, deren Lebenssinn nicht nur auf weitere Siege reduziert wird.»

 

Was für eine Sportlerin möchten Sie werden?

«Ich wünsche mir, dass mir mein neues Bewusstsein dazu verhilft, die Siege so zu geniessen, wie man sie geniessen soll. Rückblickend stelle ich fest, dass die Glückseligkeit nach einem Sieg bisher eher oberflächlich und nicht wirklich tief empfunden worden war von mir. Ich möchte künftig mit dem Herzen gewinnen und dieses Gefühl jene Menschen spüren lassen, die mir auf dem Weg zum Sieg geholfen haben.»

 

Die beiden letzten Jahre waren entscheidend auf Ihrem Weg. Welche Veränderungen waren wichtig für Sie?

«Die wirkliche Veränderung hat mit dem Gesamtweltcupsieg stattgefunden. Als Sportlerin stellt man sich ständig in Frage. Und wenn man den Höhepunkt erreicht hat, schaut man zurück und versucht zu verstehen, warum man es so weit gebracht hat. Jedoch fehlt die Zeit dazu. Denn der nächste Schritt besteht wiederum in den Erwartungen an sich selbst. Man läuft Gefahr, jeden Tag zu einem Wettkampf gegen sich selbst zu machen, ohne dabei einmal mit sich selbst zufrieden zu sein. Mein letzter Unfall hat diesen Teufelskreis zwangsläufig durchbrochen und mir die wahren Prioritäten im Leben aufgezeigt – sei es in sportlicher wie auch in privater Hinsicht. Ich konnte siegen in einem angespannten Zustand. Warum also soll ich – innerlich ruhig und unbeschwerter geworden – nicht weiter zum Siegen finden?»

 

Was beschäftigt Sie derzeit am meisten?

«Bei allem, was man tut, kommt es auf die Details an: im Leben, beim Skifahren und auch beim Material. Es ist sehr hilfreich, auch scheinbar unbedeutenden Dingen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass innere Ruhe und Bescheidenheit ausschlaggebend sind, wenn ein Projekt gelingen soll.»

 

Wie bringen Sie die Frau Lara und die Sportlerin Lara miteinander in Einklang?

«Es war nicht leicht, die Frau mit der Sportlerin in Einklang zu bringen, bis ich begriffen habe, dass sich die beiden Charakteren letztlich ergänzen. Das Wissen, dass es abgesehen vom Siegen noch etwas anderes gibt, ist zu einem grundlegenden Wert geworden, um zu verstehen, wer und was mir wirklich geholfen hat, Erfolge zu feiern.»

 

Und wie gelingt es Ihnen, Ihr Privatleben und das Leben als Sportlerin unter einen Hut zu bringen?

«Mein Privatleben ist ein bisschen aufregender geworden (lacht). Es ist auch für mich neu, ständig im Scheinwerferlicht zu stehen, und dass jeder Post in den Social Media oder jedes Detail über unser Leben als Paar instrumentalisiert wird und dabei die wahren Gefühle zwischen uns ausser Acht gelassen werden. Wir sind uns bewusst, dass das auf uns gerichtete Scheinwerferlicht zu unserem Leben gehört, solange wir Sportler sind. Wir wissen aber auch, dass es sich lohnt so zu leben, wie es uns gefällt, und als wären wir allein auf der Welt. Es wird für mich sehr speziell sein, dass Valon von nun an bei den Skirennen zusammen mit meiner Familie im Ziel stehen wird. Und für ihn, wenn ich auf der Tribüne sitze und er mich, bevor das Spiel beginnt, dort suchen wird.»

 

Wie haben Sie sich auf die bevorstehende Saison vorbereitet? Wie war das Training in Südamerika?

«Die Vorbereitungen verliefen gut, körperlich bin ich fit und fühle mich gut auf den Ski – vor allem beim Super-G und in der Abfahrt. Beim Riesenslalom benötigte ich etwas länger, weil sich noch technische Fehler einschlichen. Gegen Ende der Trainingsphase war ich mit dem erreichten Niveau ziemlich zufrieden. Jetzt gilt es, an den Details zu feilen, das Tempo zu dosieren und unter schwierigeren Bedingungen auf Winterschnee zu fahren.»

 

Der Weltcupauftakt in Sölden steht vor der Tür. Wie ist Ihr Gefühl vor diesem ersten Wettkampf?

«Ich bin froh, dass die Saison anfängt, und auch, dass ich gesund und mit zwei stabilen Knien anreise.»

 

Welche schönen Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Piste?

«Mein Debüt und die beiden Siege in Sölden gehören zu den schönsten Erinnerungen. Über die Ziellinie zu fahren und das grüne Licht zu sehen ist ein Adrenalinschub, der den ganzen Winter anhält.»

 

Welcher Teil ist am schwierigsten in Sölden?

«Nach monatelangem Training zwischen Südamerika und Gletschern wird man plötzlich in die Betriebsamkeit des Wochenendes in Sölden katapultiert. Am schwierigsten ist es, die erforderliche Konzentration zu finden und sich wieder an die Routine der Wettkämpfe zu gewöhnen. Denn das Einzige, was trotz der vielen Repräsentationsverpflichtungen zählt, ist es, sich um 9.45 Uhr beim Starthäuschen einzufinden.»

 

Quelle: swiss-ski.ch

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